Wenn einer was zu sagen hat

Simon Chen erteilte den Appenzellern Lektionen in erfolgreicher Rhetorik

Raffiniert, feinsinnig, spitzfindig, ironisch und von herrlichem Humor sind die Sprachspiele des Schauspielers, Autors und Kabarettisten Simon Chen. «Am Pult der Zeit» führte er das Publikum der Appenzeller Kulturgruppe in die hohe Kunst des Redens ein.

Simon Chen weiss wie man Volksnähe herstellt: Er krempelt die Hemdsärmel hoch. Er macht den einzelnen Zuhörer glauben, exakt er sei gemeint. Mindestens einmal pro Woche schaut er über den eigenen Tellerrand hinaus. Er blickt nach vorn, «was interessiert mich mein Geschwätz von gestern», hat er von Kandidaten gelernt.

Im Hotel Hecht erteilte der Spoken-Word-Künstler am Samstagabend gut 80 Personen eine Lektion im erfolgreichen Halten von Reden. Dabei teilte er auch Hiebe an die Classe Politique aus und klopfte den selbstzufriedenen Schweizern auf die Finger. «Ein fetter Arsch merkt nicht, ob er auf einem Kissen sitzt oder nicht», so sein Fazit. Und er ärgerte sich darüber, dass die Schweizer glauben, sie könnten den Flüchtlingsstrom steuern und gleichzeitig Steuerflüchtlingen Unterschlupf gewähren.

Ein Pult macht wichtig
Ein Rednerpult ist hilfreich beim Reden halten, daran kann man sich festhalten, sich lässig dagegen lehnen, sich dahinter verstecken. Denn wer an einem Pult steht, hat was zu sagen. Das Stehpult ersetzt manchmal den Standpunkt.

Oder es ist eine Textabschussrampe. Simon Chen feuerte aus allen Rohren: Er bediente sich der Sprache der Populisten ebenso wie jener des erweckten Predigers. Oder er richtete als Haushaltvorstand das versammlungsgeschulte Wort an seine Nachkommen. Oder er hielt eine geschwurbelte, makabre Abdankungsrede. Das gab viel zu lachen.

Anleitung zum erfolgreichen Reden
Wer herrschen will, muss auch das Reden beherrschen. Also gab es für das Appenzeller Publikum eine Anleitung für politische Reden: Die Rede sollte nicht so trocken sein wie der Weisswein der danach gereicht wird. Man sollte eloquent rüberkommen aber nicht zu geschliffen sprechen, damit man nicht für einen Deutschen gehalten wird. Punkten kann man mit gehaltvollen Zitaten. Am besten beschränkt man sich auf Themen ohne Kontext, riet der Referent, denn Polit- und Medienlandschaft sind Fettnapfgebiete.

Der Rhetorik-Unterricht war gespickt mit knackigen Definitionen, Wortwitz und  vieldeutigen Sprachspielen. Simon Chen liess den Zuhörenden kaum Zeit zum Verschnaufen und Nachdenken. Er zog alle Register, überhöhte da und karikierte dort. Jedes Wort, jedes Stammeln, jeder Versprecher war präzis gesetzt.

Simon Chen ist nicht nur lustig. Er ist ein kluger, scharfer Beobachter und vor allem ein spitzfindiger Sprachkünstler. Ernst wurde er bei seinen Statements zu Religion, Terror, Islamismus und Flüchtlingen und den diffusen Ängsten die damit geschürt werden. Die aktuelle Politik liess er ebenso in «Meine Rede» einfliessen wie Lokalkolorit.

Das Leben ist ein Wahlchrampf
Am meisten wird geredet – manchmal um Kopf und Kragen – im Kampf um Sitzgewinne. Denn ein Politiker ohne Sitz hat einen schweren Stand. Mittlerweile herrscht permanent Wahlkampf, manche Versprechen stellen sich bald als Versprecher heraus. Eigentlich ist das ganze Leben ist ein einziger Wahlchrampf, resümierte Simon Chen. «Sag was du denkst, aber pass auf was du sagst», lautet deshalb der Rat des 44-jährigen Schweizers. Simon Chen hat den Menschen «Am Pult der Zeit» genau aufs Maul geschaut. Dem Publikum haben seine Erkenntnisse und Lektionen sehr gut gefallen.

Text und Bild: Monica Dörig