Der Dreck am Stecken und der Geist aus der Flasche

Liedermacher Endo Anaconda und Pianist Roman Wyss ernteten frenetischen Applaus

Vor einem Vierteljahrhundert hat die Kulturgruppe Appenzell Endo Anaconda und seine Begleitmusiker schon einmal nach Appenzell eingeladen – damals noch in eine «Beiz». Der bis heute einzigartige «Stille Has» war zu jener Zeit auf Siegeszug in der Kleinkunstszene. Am Samstag trat er mit Songperlen aus 30 Jahren vor 160 Zuhörenden in der Kunsthalle Ziegelhütte auf und wurde wieder bejubelt.

Der «Stille Has» ist etwas ruhiger geworden. Doch noch immer schimmern in den Liedern von Endo Anaconda sein Temperament, seine Empörung, sein Hang zum Makabren und Melancholischen und poetische Anarchie auf. Das Leben und die Liebe haben Spuren hinterlassen – nicht nur Knochenbrüche und Diabetes. «Heute bin ich so alt wie ich mich schon immer gefühlt habe», sagte der Dichter und Performer. Und er sang: «Jeder andere wäre tot, aber ich segle noch immer mit meinem Boot…»


Sehnsuchtslieder
In seinen Chansons und Moritaten, wenn er herzberührend den Blues singt, Texte stakkatomässig in Tangotakte einpasst, ist er immer noch der «Stille Has», den man bewundert und verehrt, dessen unvergleichliche Liedzeilen einen durch die Jahre begleitet haben, wie es sonst vielleicht nur die Lieder von Mani Matter getan haben. Melancholie, schwarzer Humor, etwas Satire und Zynismus gehören zur Würze der Hasenlieder. Die Krähen fliegen schwarz und schwer durch seine Texte. «Ich bin der Dreck am Stecken, die letzte Ratte auf dem Schiff, der Geist aus der Flasche, der Phönix aus deiner Asche…», so singt der Stille Has ein Liebeslied «am Marterpfahl der Sehnsucht». Auf die Gassenhauer von der schönen grünen Aare und vom «Moudi» verzichtete Endo Anaconda am Samstag. Dafür gab es für manche im Publikum neue Perlen zu entdecken: die bitterböse Zweideutigkeit der «Märli», das Sehnsuchtslied an den kleinen Tod, den Jesus-Blues «Tequila Halleluja».

Prächtiges Klangkissen
Keiner fasst den Alltagsfrust, die Trostlosigkeit der Agglomeration, das Loch in der Seele, die Unheilbarkeit der Liebe in so bildhafte Zeilen. Der lautmalerische Berner Dialekt eignet sich halt wunderbar für Redewendungen wie «dr Himmu grännet Fäde». 
Früher wurden die mit Reibeisenstimme inbrünstig vorgetragenen Hasenlieder von schrammelnden Instrumentalisten begleitet. Der «Stille Has» kam schräg und wild daher. Auf der Duo-Tour bettet Pianist Roman Wyss die Songperlen auf ein prächtiges Klangkissen. Sein Spiel verhilft den Liedern zu Glanz und Grösse. Das passt gut zur Intensität des Gesangs und der Bühnenpräsenz von Endo Anaconda. Die Texte sind so gut gealtert wie edler Wein. 


Frenetischer Beifall
Viele Fans aus der Region und von weiter her waren gekommen, um in der Kunsthalle Ziegelhütte das Beste aus drei Jahrzenten Stiller Has zu hören. Das Publikum sass während der Vorträge mucksmäuschenstill, als wollte es ich jedes Wort auf der Zunge zergehen lassen und jeden Ton der formidablen Intros und Intermezzi des Pianisten auskosten. Es konzentrierte sich wohl auch, weil der Dialekt hier nicht so leicht verstanden wird und die Performance von einem eigenen Duktus geprägt ist. Aber vor der Pause und am Schluss spendete es frenetischen Beifall. 
Obwohl er mit der derzeitigen Regierung gar nicht einverstanden ist, sang Endo Anaconda als Zugabe und als Reminiszenz an seine andere Heimat (Österreich) mit köstlichem Schmäh «Ich wünsch‘ dir den Himmel voller Geigen» – denn es gibt noch Hoffnung wenn man sich an das Bild klammert von Ueli Maurer «wie er den amerikanischen Präsidenten zusammengestaucht hat».

Text: Monica Dörig
Bilder: Monica Dörig