Verzettelt, abgelenkt, trashig und wortakrobatisch

Patrick Frey

Patrick Frey führte in der Kunsthalle Appenzell eine Publikumsbefragung durch und amüsierte sich dabei selber köstlich.

Patrick Frey

Patrick Frey begeisterte das Publikum in der Kunsthalle Appenzell mit viel schwarzem und viel schrägem Humor.

Der Auftritt von Patrick Frey in der Kunsthalle Appenzell war eine wohltuende Herausforderung.

Viele Nummern in Patrick Freys Solo-Programm «Wo bini gsi» sind deftig und makaber. Er mutete dem Appenzeller Publikum am Samstag Einiges zu. Es war nach gut zwei Stunden erschöpft vom Zuhören, Mitdenken und vor allem vom Lachen. Die Kulturgruppe Appenzell hat mit der Einladung des Künstlers für ein einzigartiges Comedy-Feuerwerk gesorgt.

Patrick Frey kann auf der Bühne tüchtig «sirachen», er greift mal nach unteren Schubladen, schimpft und regt sich auf und streut dazwischen kluge Gedanken. Solche hochkarätigen Herausforderungen mag das Publikum: Es flossen Lachtränen und der Muskelkater in der Bauchdecke schnurrte.


Patrick Frey arrangiert seine Nummern sehr gut kalkuliert, ohne den ausgeleierten roten Faden, oft haarscharf an der Grenze des Erträglichen und des guten Geschmacks. «Hauptsache es ist lustig» lautet sein Leitsatz, dann dürfe man sich auch an heikle Themen wagen. Selbstironie und zynisch gefärbte Tiraden gehören dazu und die Einbindung des Publikums mittels Voting und Befragung.


Am Samstagabend stieg er ziemlich makaber ein in sein zweites Solo-Programm als Stand up Comedian. Das Publikum im ausverkauften Bühnenraum konnte abstimmen, welche der Bundesrätinnen und Bundesräte man sich als Sterbebegleitung wünscht. Zum Erstaunen Etlicher gewann Elisabeth Baume-Schneider die Ausmarchung gegen Martin Pfister, nach dem die andern Mitbewerbenden entweder gar keinen Zuspruch, ein paar zaghafte Klatscher oder Unmutsbekundungen geerntet hatten.

Verzetteln als Kunstform

«Wo bini gsi» lautet der Titel seines Bühnenkunststück. Der Ausspruch kann mit Wortfindungsstörungen zu tun haben oder ist typisch für jene, die vom Hundertsten ins Tausendste kommen. Auch der Komiker schweift gern ab: von sorgsam recherchierten Fakten aktueller Themen zu (lediglich zwei!) Flachwitzen oder in erotische Gefilde. Im Bundesrat vertreten vier Bauern das Volk (sie machen 57 Prozent der Landesregierung aus); das Bruttoinlandprodukt (BIP) dieses Wirtschaftszweigs beläuft sich in der Schweiz auf 0,6 Prozent.  Das BIP der Kulturwirtschaft beträgt 4 Prozent. Die Schlussfolgerungen kann man sich selbst zusammenreimen.


Patrick Frey ist ein Geschichtenerzähler. Er berichtete unter anderem vom unglücklichen Andi, der wegen seines unbezwingbaren Drangs, den Frauen alles erklären zu müssen, bei ihnen nicht landen kann. Er ermittelte gegen die Glühwein-Mafia. Er brach eine Lanze für gedruckte Medien (Deep Reading!) und gab Tipps für Small Talk, die in jeder Situation funktionieren. (Sie haben das Potenzial zu Running-Gags). Patrick Frey ist ausserdem umweltbewusst: Die Hülle der Babybel-Käse formt er zu Geburtstagskuchenkerzli mit Dochten aus Teebeutelschnürchen, wie er vorführte. 
Mit der Metapher des Luxusjacht MS Happy Switzerland redete er uns Privilegierten ins Gewissen. Beim Aufzählen von Verschwörungstheorien und von Beispielen zur woken Sprachregelung bezüglich Tiernamen echauffierte und verzettelte er sich. Das Verzetteln macht Patrick Frey zur Kunstform. Die Sucht nach Ablenkung ist Subjekt einer Nummer: Die Zerstreuungsmaschinerie zerstöre unsere Konzentrationsfähigkeit, warnte er. Heutige Menschen lassen sich bereits nach 16 Sekunden Aufmerksamkeit ablenken, ja sie suchen begierig nach Ablenkung.

Freys Wortschöpfungen
Die Kadenz der Wortfeuerwerke betrug (gefühlt) meist nicht viel mehr als 16 Sekunden. Die meisten sind keine Verzettelungsinstrumente, sondern lenken die Aufmerksamkeit dorthin wo es brennt. Es ging Schlag auf Schlag, Lacheruption auf Schnappatmung. Ohne Hilfsmittel und Requisiten, mit Charisma und voller Energie stand der 76-jährige Grandseigneur der Schweizer Spoken Word- und Kunstszene auf der Bühne. Das Publikum zeigte seine Bewunderung mit heftigem Beifall. Damit bedankte es sich auch für die überbordende Fantasie, die Lachanfälle provozierte. Zum Beispiel die Zugabe: Erläuterungen zur Herkunft des Begriffs Biberfladen. Sie gaben dem Publikum den Rest. Patrick Frey präsentierte Forschungsergebnisse, die vor Wortschöpfungen überquollen - alles erfunden, ähnlich dem «Totemügerli» von Franz Hohler, nur nach Freyscher Art: trashig, pfluderig, schlarpig, schlüpfrig, schlampig und wahnsinnig lustig.
Das Publikum in der Kunsthalle Appenzell bedankte sich herzlich für den durchaus geistreichen Abend und selbst Zartbesaitete zeigten sich begeistert vom Comedy-Vulkan der Extra-Klasse.

Text und Bilder: Monica Dörig