Spielen bis die Hütte brennt

«Gankino Circus» boten zwischen Anekdoten aus der tiefen Provinz viel grandiose Musik

«Die letzten ihrer Art» heisst das Programm von «Gankino Circus». Die Band macht Musikkabarett - eine Mischung aus kuriosen Geschichten und fulminant gespielter Musik quer durch die Landschaft. Die Kulturgruppe Appenzell hat am Samstag ihrem Publikum damit wieder einmal einen herrlichen Abend in der Kunsthalle Ziegelhütte geboten.

Vor ein paar Jahren, als die Kulturgruppe das Quartett aus Franken engagieren wollte, mussten die Konzerttermine aus hinlänglich bekannten Gründen und weil «Gankino Circus» eine gefragte, preisgekrönte Band ist, mehrmals verschoben werden. Damals hat Klarinettist Simon Schorndanner per Video Call versprochen: «Wir kommen 2022 zu euch und spielen bis die Hütte brennt!».

Die Ziegelhütte ist am letzten Samstag zum Glück nicht in Flammen aufgegangen.  Aber schon nach drei Stücken herrschte eine Bombenstimmung, wie sich Gitarrist und Erzähler Ralph Wieland freute. Die Herzen der etwa hundert Leute auf dem Brennofen in der «Ziegelhütte» hatten schon Feuer gefangen.

Geschichten aus dem Kaff
Man konnte sich dem furiosen Spiel des Quartetts nicht entziehen. Minutenlange Stücke, die melancholisch alpenländisch oder  geheimnisvoll orientalisch daherschwebten, balkanesk oder klezmerisch durch den Klangraum hüpfen, begannen bald zu brodeln und mündeten in Vulkanausbrüche oder mitreissenden Tornados. Die vier technisch brillanten Musiker mixen Volks-und Weltmusik, Rock und Pop und ungestüme Improvisation mit Emotionen und Ausdruckskraft zu einem einzigartigen explosiven Cocktail. Er schmeckt nach Provinz, Sehnsucht, Rebellion und unbändiger Freude an der Musik.

In einem Kaff aufzuwachsen, wo Irrsinn und Idylle Hand in Hand gehen, wo es abgesehen vom «Griechen» ein einziges akzeptables Wirtshaus gibt (samt ikonischem Wirt), das prägt. Von hier kann man nicht so einfach abhauen. Nicht einmal eine Bushaltestelle gibt es: Damit einer hält, muss man die alte Anna mit dem Rollator an den Strassenrand stellen. Aber die Welt kommt auch ins kleinste Dorf, zum Beispiel als Silbereisen und Doc Hirschhausen. Gegen den Stock im Arsch hilft fränkische Yoga à la Gankino Circus - Akrobatik mit Lieblingsmusik.

Tobendes Publikum
Das Publikum konnte mitfühlen: Viele kommen aus eine «bünzligen» Ort wie Dietenhofen. Heute leben drei der vier Berufsmusiker, die sich zum Teil seit ihrer Jugend kennen, nicht mehr im östlichen Mittelfranken sondern in Dresden. Dietenhofen und seine Bewohner geben aber noch genug her für die  (manchmal etwas langfädigen) Anekdoten. Diese sind  eingebettet in die umwerfenden Musikmixturen und eigenen Songs mit einem Hauch Punk.

Jeder der vier Charakterköpfe ist ein grandioser Instrumentalist. Das Publikum beklatschte ihre Soli frenetisch. Mit Klarinette oder Saxophon (Simon Schorndanner), Drum-Set und Perkussion (Johannes Sens), Akkordeon oder Bonophon – eine Klangskulptur aus Knochen für das Requiem auf Wirt Weizen-Charly  – (Maximilian Eder) und mit Gitarren (Ralf Wieland) wurden virtuos und leidenschaftlich die vielleicht schnellsten Polkas der Welt gespielt, Bohrmaschinen-Sirtaki, Rock’n’Roll, Filmmusik-Zitate. Das Quartett findet, die schrägen Rhythmen aus Osteuropa – wie im bulgarischen Volkstanz Gankino, dessen Namen sie angenommen haben  – machen jedes Stück fetziger, was sie in einer verblüffenden Rätselrunde bewiesen.

Die Organisatoren der Kulturgruppe freute sich, das wieder einmal so ausgelassen zu erleben. Es tobte, es gab Standing Ovations, Pfiffe und Bravo-Rufe. Der Metallboden auf dem Ringofen vibrierte, die Ohren schlackerten. Die Leute tanzten, klatschten, schnippten mit den Fingern. Nach mehreren Zugaben verabschiedete sich das famose Quartett mit einem zauberhaften «Kein schöner Land» – trotz oder gerade wegen dieser Zeiten.

Text und Bilder: Monica Dörig