Das Grosse im Kleinen – grosses kleines Theater

Das Appenzeller Kleinkunstpublikum bekam von «Hart auf Hart» ein grossartiges Zweipersonenstück geboten

Mitglieder der Kulturgruppe Appenzell besuchen, um ein abwechslungsreiches Jahresprogramm für Appenzell zu gestalten, unter anderem jeden Frühling die Kleinkunstbörse in Thun. Dort sahen sie einen Ausschnitt aus dem Programm von Elisabeth Hart und Rhaban Straumann. Sie waren begeistert und buchten das schweizerisch-deutsche Duo.

Das Stück «Wollen Sie wippen?», das Elisabeth Hart aus Leipzig und Rhaban Straumann aus Olten geschrieben und am Samstag in Appenzell in der Kunsthalle Appenzell gespielt haben, ist wie ein mitreissendes Jazzmusikstück: Es lebt von verschiedenen Rhythmen, Tempi, Klangfarben und effektvollen Pausen sowie von Intermezzi die Geist, Ohren und Zwerchfell kitzeln.

Verschachtelt
Das Stück zu erklären bedarf ebenso wie das Zusehen und Zuhören der ungeteilten Aufmerksamkeit. Es geht um ein Paar, das ein Zweipersonenstück geschrieben hat und es samt Regieanweisungen dem Publikum vorliest. Dieses handelt von einem Paar – auch eine Deutsche und ein Schweizer – , das sich auf einem Spielplatz kennenlernt. Es ist wie die Schachtel in der Schachtel in der Schachtel…
Das «reale Paar» kann sich ebenso echauffieren oder in tiefsinnige Betrachtungen fallen über die Welt wie das fiktive. Die beiden Darstellenden springen von einem Charakter in den andern – erkennbar gemacht durch das Aufsetzen einer Brille und die stupende Mimik. Die Erzählebenen greifen ineinander, brechen kleinteilig den Erzählfluss und machen die 80 Minuten  dadurch so kurzweilig.
Die Schreibenden spielen munter mit den diversen Beziehungskisten, respektive -schachteln. Manchmal vergaloppiert sich die Fantasie der zwei Menschen auf dem «Bänkli», wenn sie sich etwa ausmalen (was die Autoren ersonnen haben) wie der Spielplatz dank  Fallgruben zum Abenteuerspielplatz würde – wie das Leben vielleicht.

Sandkastenspiele
Eingestreut sind niedliche «schwiizerdütsche» Begriffe, sprachliche Missverständnisse und Wortklaubereien, die sich ergeben können, wenn eine Deutsche – sehr sehr pragmatisch und direkt – und ein eingedeutschter Schweizer zusammenkommen und einander nicht immer verstehen – nicht nur wörtlich nicht. Schön ist, dass Elisabeth Hart und Rhaban Straumann nicht die üblichen Klischees bemühten sondern sich lustige Wortspiele einfallen liessen.
Apropos Spiele: Das Beobachten der Kinder und ihrer schwererziehbaren Eltern im und am Sandkasten dient dem Mann in besten Jahren der Selbstberuhigung:  Es tut ihm gut, zu sehen wie Eltern mit und an ihren Kindern leiden, bevor er in seine Single-Wohnung zurückkehrt. Die schöne Mitdreissigerin hingegen betreibt eine Langzeitstudie: Im Kampf um Schaufeln und Sandeimer, bei Scharmützeln an den Spielgeräten –  die auch von den beiden Beobachtenden slapstikartig ausprobiert werden – offenbart sich ihr das soziale Verhalten der Menschen, das Grosse im Kleinen.

Elisabeth Hart ist eine grossartige Schauspielerin und war eine Entdeckung für das hingerissene Appenzeller Publikum. Rhaban Straumann, der die Gefühle des schüchternen harmoniesüchtigen Schweizers herrlich in Gesichts- und Körpersprache ausgedrückt, kennen die Gäste der Kulturgruppe auch als Ruedi, die eine Hälfte des Komikerduos Strohmann & Kauz, das vor einem  Jahr in der Kunsthalle Ziegelhütte aufgetreten ist.
Das Duo Hart und Straumann hat mit «Wollen sie wippen?» ein einzigartiges Lesetheater kreiiert: mit spritzigen Ideen, fantasievoll komponiert, raffiniert arrangiert, mit kleinen Improvisationen, (zum Beispiel mit den Namen der Kinder, die das Publikum eingebracht hat), dazu berührende und heitere Dialoge, temperamentvolle Soli, alles äusserst präzis intoniert (ohne Effektgeräte, nur Tisch zwei Drehhocker, zwei Brillen), eingerahmt von einem Intro und einem Epilog in Variationen – eben: grossartig wie eine mitreissende Jazznummer.

(Bilder und Text: Monica Dörig)