AV - Schöne Aussichten für den Rest des Lebens

Der philosophische Kabarettist Arnim Töpel machte dem Publikum das Dorfleben schmackhaft.

Das Kulturjahr der Kulturgruppe GFI hat vielversprechend begonnen. Der deutsche Kabarettist Arnim Töpel suchte im vollbesetzten Saal des Hotel Löwen in Appenzell mit seinem Programm «Rechtzeitig gehen» Mitbewohner für eine visionäre Alterssiedlung.

Armin Töpel war vor vier Jahren schon nach Appenzell gekommen. Damals lernten wir «Sex ist keine Lösung». Am Samstag fragte er wie und mit wem wir die verbleibende Zeit verbringen möchten. «Denn es steht fest: Die Zukunft wird lang, sehr lang.» In 10 Jahre betrage die Lebenserwartung wohl 100 Jahre und mehr, dann hiesse Goldene Hochzeit gerade mal Halbzeit. An den Schalthebeln der Macht sässen dereinst Männer die ausschliesslich von Fruen erzogen worden sind.

Wahlverwandtschaft
Töpel erinnerte uns, dass um uns vorwiegend Menschen sind, die wir uns nicht ausgesucht haben. Seine Vision ist eine Gemeinschaft aus Menschen, die wir gewählt haben, die ohne Ehrgeiz und Neid sind, die genug schlafen und viel Zeit haben. Er wünscht sich als Begleiter für die nächsten Jahrzehnte einen Fusspfleger, einen Physiotherapeuten und etwa zwei Table-Dancerinnen. «Wir ziehen in ein Dorf in Mecklenburg-Vorpommern. Da gibt es jede Menge leerstehende Häuser; suchen wir uns eins aus!». Mitkommen dürfen nur Erwachsene, Männer ab 45, Frauen schon ab 35.

Wir reagierten noch etwas verhalten. Vielleicht weil wir im Herzen alle Stadtmenschen sind. Vielleicht schreckte uns die Vorstellung «Dorf» ab ? «jeder kennt jeden und weiss warum er wen nicht mag». Das kennen wir doch schon.

Lebenswichtige Themen
Arnim Töpel strengte sich an. Satz für Satz war ausgefeilt, mit feiner Ironie gebaut. Manches was er sagte oder mit warmer Stimme sang, stach ein bisschen ins Herz, schmirgelte ein wenig an der gutbürgerlichen Wohlanständigkeit, kratzte an der Selbstgefälligekeit. Töpel zielte auf unser aller Schwächen und auf die Politik. Seine Waffen sind subtil; sein Programm ist sprachlich virtuos und geistreich, nichts für Schenkelklopfer. Seine Ausführungen sind von wohltuendem Tiefgang ohne Zeigefinger-Allüren. Es stimmt: Arnim Töpel ist unter den Kabarettisten der Philosoph am Piano. Zu Melodien von Tom Waits beispielsweise hat er Texte zur europäischen Befindlichkeit geschrieben: «Wir bekommen eigentlich nie das, was wir verdient haben». Töpel ist ein wunderbarer Pianist und er hat den Blues. Er ist Realist: Er erwartet von den andern viel, verspricht sich von ihnen aber wenig.Im Lauf des Abends behandelte er alle lebenswichtigen Themen für die geplante Lebensgemeinschaft wie den Unterschied zwischen den Geschlechtern, Beziehungsfallen, Bürokratie, Lebensstil. Er machte Ausflüge in seine Kindheit in der Kurpfalz. An seinen Dialekt-Einlagen fanden wir grossen Gefallen. Wir erwärmten uns immer mehr für seine Vision und die subversiven Regeln.

Viel darüber schlafen

Also was machen wir dort in Mecklenburg-Vorpommern? «Wir lassen einander in Ruhe. Wir pflegen die ultimative Form der Demokratie: Wir sind uns einig».Und was nehmen wir mit? Wenig. Vor auswärtigen Neidern schützen wir uns mit Melancholie. Sie ist das Gegenmittel gegen alle permanent grinsenden Honigkuchenpferde, gegen ekelhaft gut gelaunte Mitmenschen. Unser Wappentier soll der Siebenschläfer sein. Denn «wir habe von allem zuviel ausser vom Schlaf.» Wir wollen nochmals darüber schlafen, beherzigen wir den Rat des Kabarettisten, am besten mehrmals. «Wir können es schaffen, bloss was?».

Option Dorfleben
Mit rauchiger Stimme intonierte Arnim Töpel den Titelsong für seine potentiellen Appenzeller Mitbewohner: «Wirst du Freude bringen, wirst du Kummer säen; aber vor allem: wirst du rechtzeitig gehen?». Die Zeitwahrnehmung ist so eine Sache. Auch darüber philosophierte der Anwalt und Familienvater, der seit 9 Jahren hauptberuflich als «Kleinkünstler» unterwegs ist.Rechtzeitg heisst niemals zu früh. So liess sich der Kabarettist durch ausgiebigen Beifall zu mehreren Zugaben überreden: Erst eine zum Mitsingen im Kanon; dann ein Mundartlied ? seine Bedenken bezüglich der Verständlichkeit waren berechtigt ? und zum Abschied ein traditioneller Blues.Das Dorf in Mecklenburg-Vorpommern ist für uns zur Option geworden. Mit Menschen wie Arnim Töpel allemal: intelligenten Humor brächte er mit, Liebenswürdigkeit und gute Musik. «Wir wären ein zufriedenes, ausgeschlafenes ? ja sympathisches! ? Völklein», war auch er überzeugt. Dem Auszug ins Paradies steht nichts mehr im Weg.

Monica Dörig