AV - Eingedampfter Klassiker grandios persifliert

Bernd Kohlhepp brachte ganz allein die Räuber von Friedrich Schiller nach Appenzell

 

An die 100 Menschen wollten Schillers berühmte «Räuber» sehen. Bernd Kohlhepp spielte auf Einladung der Kulturgruppe Appenzell am Samstagabend im Hotel Löwen in Appenzell mindesten sieben von ihnen, dazu die ganze Familie von Moor samt Gefolge und Gesinde. Ob soviel konzentrierter Schauspielkunst und Monologen in wahnwitzigem Tempo blieb dem Publikum fast der Atem weg. Doch vor allem lachte es.

Zur Begrüssung bedankte sich der Schwabe bei den Appenzellern dafür, dass sie den Säntis so gut pflegen: «Sieht immer tiptop aus». Draussen haben Guggenmusiken getrötet; Bernd Kohlhepp fand leicht eine Verbindung von diesen zu den marodierenden Banden aus Schillers Zeit und ebenso leicht von den Räubern zu den Gangstern die heutzutage in den Vorstandsetagen ihr Unwesen treiben. Und so führte er das Publikum am mit Pointen reich besetzten Gängelband in das finstere Schloss der Familie von Moor und in die Beiz im Böhmerwald, deren Personal mittlerweile in der Schweiz ihr Auskommen sucht.

Ein Mann, alle Rollen
Vielleicht hat Bernd Kohlhepp als Jugendlicher im Schultheater ein Trauma erlitten, als er nur einen namenlosen Räuber spielen durfte, der kurz vor dem Ende des bluttriefenden Stücks einen ominösen Satz zu sprechen hat. Kurz darauf geht der Held, Karl von Moor von der Bühne ab mit den berühmten Worten: «Dem Mann kann geholfen werden».
Der deutsche Mime beschloss, sich selbst zu helfen. Um Konkurrenzdruck auszuweichen spielt er in Friedrich Schillers «Trauerspiel in sieben Handlungen» alle Rollen selber. Am Samstagabend brachte er die eingedampfte Familientragödie auf die Bühne der Kulturgruppe Appenzell im Saal des Hotel Löwen.
Niedertracht, Krankheit, Stolz, Anmut, Mordlust, Dummheit, Begehren, Zerrissenheit, Eitelkeit, Trauer alles spiegelte sich in seinem Gesicht. Kohlhepps Stimme, seine Körpersprache und das fulminante Minenspiel waren seine Werkzeuge. Umwerfend gab er den hinfälligen, röchelnden Grafen von Moor, den intriganten Sohn Franz mit dem hängenden Augenlid, die ebenso schöne wie keusche Amalia im raschelnden Taftkleid, den edlen Hauptmann Karl von Moor, das schlurfende Faktotum, den verräterischen Grafen Spiegelberg mit seinem zischenden Degen und sieben Räuber – mit zerknautschen Gesichtern, verschiedene Dialekte nuschelnd, einer skurriler als er andere.

Schauspiel mit Publikumsbeteiligung
Bernd Kohlhepp ist Hochleistungs-Darsteller. In gut zwei Stunden galoppierte er durch die Szenen mit Gemetzel und Liebeschwüren, Intrigen und Kabalen – oder waren es Kalebassen? Gern schweifte er dabei ab, verstrickte sich in Plaudereien mit hübschen Zuschauerinnen. Die erste Zuschauerreihe war buchstäblich sein Zielpublikum. Kohlhepp baute ihre Namen und Antworten und deren schonungslose Interpretation in das rasante Programm ein. Die Erfahrungen aus vielen Jahren Improvisationstheater und Theatersport schlugen sich in der Performance beeindruckend nieder.
Wenn es während der originalen Monologsalven – nach alter hoher Schule in grossen Gesten deklamiert – auch für Momente atemlos still wurde im Publikum, im nächsten Augenblick hielten sich die Leute die Bäuche vor Lachen oder erschreckt die Hand vor den Mund. Manches war sehr makaber, hart an der Grenze des Blossstellens.
Von der kleinen Bühne schwappten Blut und Geifer, Auswurf und Kutteln, Leber und Rotz. Dank Kohlhepps Darstellerkunst brauchte es nicht mehr viel Fantasie für einen schaurigen Film Kopf – selbst ohne Requisiten und Bühnenbild.
Eine Leiter genügte dem rasenden Reiter als Ross oder der holden Amalia von Edelreich als Kemenate oder war's etwas mit Koriander? Die Kronleuchter im Löwensaal wurden zum Plejadengefunkel. Die Schiefertafel war Zelt für die Räuber und Gefängnisturm für den halbtoten alten Moor. Um das Theater abzukürzen skizzierte Bernd Kohlhepp flink Organigramme zum Geschehen oder Porträts von Protagonisten auf die Tafel.
Manche Mologe und Dialoge raspelte der Schauspieler herunter wie wenn man eine Schallplatte mit zu hoher Tourenzahl abspielt. Das man nicht viel verstand beeinträchtigte den Hochgenuss nicht: Bernd Kohlhepps Gesicht und Körper sprachen Bände – zum besseren Verständnis auch mal in Zeitlupe. Die Hauptsache spielte sich am Rand der Tragödie ab: Bernd Kohlhepps Schlagfertigkeit, seine launigen Kommentare, viel Erheiterndes und Erhellendes. Was er mit den Räubern anstellte war schlicht grandioses Theater.

Text und Bilder: Monica Dörig