AV - Dichterische Gratwanderung

Die Gebirgspoeten hatten Kurzgeschichten, Lautmalerei und rabenschwarzen Humor im Rucksack

 

Zuerst gab es «Schöblig und Hedepflsalod» und dann gab es auf die Spitze getriebene Bergler-Klischees und rabenschwarze Geschichten aus der Provinz. Die Gebirgspoeten wagten sich am Samstag, ermuntert durch die Kulturgruppe Appenzell auf ihrer «Letztbesteigung» in stotzige Passagen und menschliche Abgründe. Für die Zuhörer im «Ditze-Rössli» war's ein schaurig-lustiges Abenteuer.

«Dr Puur puuret, dr Metzger metzged» und die Gebirgspoeten dichten, dass mancher im Publikum sich die Hand vor den Mund schlägt oder nach Luft schnappt. Ein Ofen gibt warm, eine Kuh gibt Milch und der Bund gibt Geld, reimt das Trio in den «ghüsleten» Hemden und gibt dem Publikum Saures.
Matto Kämpf, Achim Parterre (Michael Lampart) und Rolf Hermann, Bergler-Versteher und Sezierer der ländlichen Seele, hielten dem Publikum am Samstag den Spiegel vor. Bitterböse, politisch völlig unkorrekt, mit vom dunklen Bier gelockerter Zunge zerpflückten sie Vorurteile und Mythen, kulminierten sie das Kleinkarierte zu wahnwitzigen Pointen und fabulierten allerschönsten Trash.
Die Gebirgspoeten gehen nicht bis an die Grenze, nein, sie hechten forsch über sämtliche Pietätschranken als wär's ein lottriger Viehhütezaun. Sie kennen kein Pardon beim Katholizismus, sie reden schonungslos von allzu Menschlichem, sie scheuen weder Tod noch Teufel noch Krankheit.
Für Zartbesaitete war die Lesung im legendären «Ditze-Rössli» in Appenzell eine Gratwanderung. Für die Poeten, die sich auch sonst schreibend (und lehrend) durchs Leben kämpfen und für die Liebhaber des schwarzen Humors war der Auftritt «e hüere Fröid, würkli e hüere Fröid».
Die drei Männer aus dem Emmental, dem Berner Oberland und dem Wallis streichelten die Ohren der Zuhörerschaft aber auch mit ihren melodiösen Dialekten, mit ihren rhythmischen Zeilen, sie erheiterten die Gemüter mit skurrilen Geschichten, die wahr sind oder zumindest wahr sein könnten. Dazwischen funkelten poetische Zeilen (wie Sonnenstrahlen im Kirchenfenster) oder an konkrete Poesie erinnernde Lautmalerei.

Freche Schreiber, abstruse Geschichten
Die Gebirgspoeten frönen der wieder entdeckten Spoken-Word-Kultur – Volkspoesie und -literatur im allerbesten Sinn, weil die Leute hingehen, um sie zu hören: Stories vom Früchtekorb aus der Tombola mit der schwarzen Mamba als Supplement, vom frisierten Traktor der durchs Kirchenportal brettert, von der starken Marie mit den kaputten Knie die gern «Gemschi» wildert und eines Tages ihre Familie erlegt, von der Bäuerin die ihren von der Mähmaschine geschnetzelten Mann zusammenflickt, damit er an der Beerdigung «e Gattig» macht.
Kurz- und Kürzestgeschichten packten die Drei aus ihrem Rucksack aus, auf einer Aufstiegsroute mit abstrusen Wendungen, Wortspielen, ganz schön Zweideutigem und sehr Eindeutigem, das Schweizer Alphabet von Argentinienauswanderer bis Zuckerrüben, Geschichten aus dem Kollegium in dem mancher Mönch nicht fromm zugange war.
Und auf dem Gipfel gab es reine Walliser Poesie, fast so schön gesungen wie ein «Rugguusseli». Die Zugabe war ein subversiver Subventionsgospel in den die ganze Wirtschaft fröhlich einstimmte. Für die frechen Schreiber und Vorleser, die sich anschliessend unters Volk mischten, gab es viel Applaus, Unterricht im Innerrhoder Dialekt und ein paar Runden «Alpebetter».

Text und Bilder: Monica Dörig