AV - Das Leben, ein Rausch

Knuth und Tucek muteten dem Publikum einiges zu und dieses liess sich widerstandslos berauschen.

Wenn Nicole Knuth und Olga Tucek im Programm «Rausch» rote Nasen aufsetzen, hiesst das nicht, dass es jetzt sauglatt wird. Die zwei Wort-, Musik- und Gesangskünstlerinnen redeten und spielten sich am Samstagabend ins Delirium und schonten auch das Publikum nicht.

«Wenn’s dumm kommt, müssen wir vor dem Sterben leben». Um dieses Leben zu ertragen, flüchten sich manche in den einen oder andern Rausch. Die beiden Kabarettistinnen Nicole Knuth und Olga Tucek haben dazu breit angelegte Feldforschung samt Selbstversuchen betrieben. Ihre Erkenntnisse legten sie am Samstagabend dem Publikum der Kulturgruppe Appenzell im Restaurant Alpstein vor – intelligent, lustig und manchmal bitterböse.

Die Lehre von den Räuschen
Erstes Kapitel: Rausch und Frau. Die zwei scharfzüngigen Künstlerinnen haben herausgefunden, dass die weibliche DNA und der Rausch verblüffend ähnliche spiralförmige Strukturen aufweisen. Das erklärt so manches. Vielleicht auch die Trinkfreude der beiden (auf der Bühne). Zweites Kapitel Rausch und Staub (mit Querverbindung zu Kapitel eins). Nicole Knuth redete sich ins Delirium als sie eintauchte in den alltäglichen Wahnsinn der perfekten Hausfrau zwischen Soap und Staubsauger, Handy und bio-organisch-veganer Kost. Die Frauen in der heutigen Welt mit ihren übergrossen Ansprüchen an sich und andere, mit ihren verlorenen Träumen, wurden an diesem Abend öfters aufs Korn genommen.

Und Olga Tucek orgelte und sang sich auf ihrem Akkordeon in Rauschzustände. Ja, Knuth und Tucek hatten das Publikum rasch angefixt mit ihren Wortkaskaden zwischen Pillen einwerfen und ins Gras beissen (bevor man’s rauchen kann). Die Leute hingen den beiden an den Lippen, kauten an ihren Liedern, schluckten leer, hielten den Atem an, wenn zwischen ausgefeilten Texten böse Pfeile abgeschossen wurden, Tabus gebrochen und die Dinge beim Namen genannt wurden. Und wenn das Publikum vom Horrortrip gepackt wurde, freuten sich die beiden Prachtsweiber teuflisch. Das dritte Kapitel – Rausch und Lust – wurde mit experimenteller Lyrik und hinreissender Obst- und Gemüse-Erotik bedient. Das vierte war eine Liebesgeschichte: Rausch und Kapital.

Eine ernste Sache
Als Lachnummer war Kapitel Nummer fünf angekündigt: Rausch und Humor. Den Zuhörenden war längst klar: Humor ist eine ernste Sache und nur weil Knuth und Tucek sich rote Nasen aufsetzen, heisst das nicht, dass es sauglatt wird – trotz kollektiven Klatschen, dirigierten Lachsalven und ekstatischem Schunkeln. Nein, da wurde niemand geschont. Man hatte ein bedrückendes, alpenländisch verbrämtes Inzestmärchen zu verdauen und ein auf heutige Süchte und Lüste gemünztes Gebet auszuhalten.

Aber da waren auch immer wieder brillanter Wortwitz und wunderbar poetische Zeilen zur verlorenen Kindheit und dem unterdrückten inneren Kind.

In einem der letzten Kapitel spazierte der Kater über das heisse Blechdach. «Nimm dich in Acht vor der Nüchternheit», warnten Knuth und Tucek. Deshalb berauschten sie das Publikum in einem finalen Aufbäumen. Sie sangen von der Problemzone Frauenkabarett, legten nochmals schön bissig die Frauensituation bloss – und konnten den tosenden Applaus – bescheiden wie Frauen halt sind – fast nicht annehmen.

Text und Bild: Monica Dörig