AV - Berner Lügenbaron zu Gast

Reeto von Gunten erzählte kuriose Lügengeschichten und einige Wahrheiten.

Reeto von Gunten erzählte am Freitagabend im Restaurant Alpstein Märchen. Schräg und kurios. Besetzte man die Protagonisten ? Würmer, Muscheln, Schaukelpferd reitende Pandabären ? mit gewöhnlichen Menschen, kam ein wenig märchenhaftes Bild zum Vorschein: der ungeschminkte Alltag, die wahren menschlichen Unzulänglichkeiten.

Reeto von Gunten ist ein exzellenter Lügner! Was tischte er dem Publikum am Freitag doch für Geschichten auf: Von seiner Berufung als Beziehungsabräumer zum Beispiel. Als solcher springt er in die Bresche, um Beziehungen ohne Dramatik aber sehr persönlich zu beenden. Denn in Zeiten von SMS und Email ist das eine echte Marktlücke. In die gleiche Richtung zielt die Geschäftsidee des Auftragsdichters für Liebesworte. Antwort garantiert.

Hoffnungslos zuversichtlich

Haarsträubend sind die Tagebucheinträge des Mitglieds einer «Geländewägeli-Gang», die ihr Altersheim und die Umgebung unsicher macht. Reeto von Gunten schlüpfte auch in die Haut eines Würmchens mit mangelndem Selbstbewusstsein, das schliesslich den masslos überschätzen Pandabären doch noch überstrahlte. Oder er erzählte die tragische Geschichte der hohlen Muschel Linda, die am vermüllten Strand hoffnungslos zuversichtlich auf ihren grossen Auftritt hinfiebert.

Jeder will schliesslich einmal im Leben ? und sei es nur für einen klitzekleinen Augenblick ? das Gefühl geniessen, begehrt zu sein, ein Star zu sein. Doch das unbarmherzige Schicksal zerreibt die meisten Träume und Hoffnungen zu Sand.

Wahrheit und Lüge

In die Geschichten flocht der begnadete Erzähler mit der Samtstimme und dem blumigen Berner Dialekt die Absurditäten des Alltags ein. Geschickt schweifte er zur Tagesaktualität ab, sei es zu offiziellen Lügnern oder zu Begegnungen, die sich zwischen Bahnhof und Restaurant Alpstein zugetragen haben ? oder zugetragen haben könnten. Wahrheit und Lüge liegen im Leben wie bei den Vorträgen Reeto von Guntens nah bei einander.

Seine Lesung war mehr als die Bezeichnung versprach. Unter dem Titel «Lugihüng» hatten Einspielungen Platz wie die Sammlung von Demonstrationsfotos ? alle mit Hund (!) und mit effekthaschender Musik inszeniert. Es gab Dias aus dem wahren Leben, die fast zu gut sind um wahr zu sein. Wie sein Kollege Max Küng, ist von Gunten ein Sammler von Alltagsbildern, die beim genauen Hinsehen die Welt aus den gewohnten Fugen kippen.

Aktivist mit Klebeband


Von Gunten ist nicht nur Radiomoderator, Performer, Familienmann und Autor, er ist ausserdem Aktivist: Mit Abdeckband und Filzstift bewehrt, sieht er sich immer und überall veranlasst Kommentare zu Wandsprayereien, Werbeplakaten oder gar Verkehrstafeln zu hinterlassen. Die Aufnahmen davon bekamen in seinem höchst professionell durchkomponierten Multimedia-Auftritt ebenso ihren Part wie der junge Rapper, den der Künstler im Internet kennengelernt hat. Sein Song heisst «Lugihüng».

Reeto von Gunten tritt niemals samstags auf. Denn am Sonntagmorgen früh erfreut er die Nation auf Radio DRS3 mit seinen Lügengeschichten. So fand der Anlass der Kulturgruppe ausnahmsweise am Freitag statt. Eine ansehnliche Schar Zuhörende dankte nach dem Abspann auf der Leinwand mit warmem Applaus dafür; Reeto von Gunten dankte allen, die gut lügen.


Text und Bilder: Monica Dörig