Auf der grünen Seite des Lebens

Lieder von Meer, Matrosen und Romanzen machten die Kunsthalle zum Vergnügungsdampfer

Wer vor einer Woche in der Kunsthalle Appenzell die Zucchini Sistaz erlebt hat, wird das als langweilig geltende Gemüse gleichen Namens mit andern Augen sehen. Was die drei fabelhaften Musikerinnen gemüsekalisch auftischten, war hinreissend, ja fast berauschend.

Ihr Ruf eilt der Damenkapelle weit voraus. Die Kulturgruppe Appenzell wollte ihrem Stammpublikum den Leckerbissen Zucchini Sistaz nicht vorenthalten. Dass die drei in die Ostschweizer Provinz gereist sind – was sie übrigens sehr genossen haben – ist nicht zu unterschätzen, spielten die Münsteranerinnen doch erst noch auf den Bühnen Berlins. Am letzten Samstag heizten sie den Bühnenboden auf dem Ringofen der Kunsthalle Ziegelhütte ein. Sie bereiteten darauf hinreissend interpretierte, raffiniert arrangierte, köstlich abgeschmeckte, knackige und süsse Songs zu. Gut Abgehangenes mit neuen Texten, exotisch gewürzte Covers und Eigenkreationen schafften es, das aufmerksame, anfangs etwas zurückhaltende Publikum zum Jubeln zu bringen und zum Tanzen zu bewegen. Der Applaus war frenetisch und so gab es dreifachen Nachschlag und einen Absacker. Alles sehr lecker!

Das Auge isst mit Hochgenuss mit

Jule Balandat am Bass, Sinje «Schnittchen» Schnittke (weil man sich vom unermüdlichen Eifer der grandiosen Multiinstrumentalistin ein Scheibchen abschneiden kann) verbarrikadiert hinter ihrer Instrumentenküche und Tina Werzinger mit Manouche-Gitarre und «Schnukulele» bewiesen auf die charmanteste Weise, dass sie nicht nur fabelhafte Sängerinnen sind, sondern auch hervorragende Instrumentalistinnen. Die Flügelhorn- und Posaunen-Soli waren umwerfend, die Latin-Beats des Kontrabasses fuhren in die Beine und die Gitarrenakkorde kitzelten die Gehörgänge. Alles rühren  sie mit einer Extra-Portion Swing sämig.

Die drei sind auch gestandene Entertainerinnen: ein bisschen exaltiert, ein bisschen überkandidelt, aber entzückend. Und das Auge isst mit Hochgenuss mit: Die ultramaringrün-weissen Matrosenkostüme sitzen ebenso akkurat wie die Blumenroben und der florale Kopfputz und jedes einzelne  ondulierte und toupierte Haar.

Wie ein Tag am Meer
Die drei plauderten und flachsten zwischen den Liedern aus den 20er- bis zu den 50er-Jahren, mit einer Prise  zeitgenössischem Po,p und vesetzten das Publikum in die Stimmung wie an einem Tag am Meer (so der Name des Programms).  Sie trällerten in allerschönsten dreistimmigen Harmonien von Matrosen und Bäckern, von «dolce far niente» und Romanzen zwischen Sonnenmilch und Frittenfett.

Ihr Vergnügungsdampfer kreuzt zwischen Nordsee, Mittelmeer und Karibik. Das Appenzeller Publikum weiss seit der Fahrt mit den Zucchini Sistaz wie man einen perfekten Tag verbringt:  ein bisschen angeheitert und ohne Termine, dazu braucht es «nur das Wetter von morgen – und das wird gut!» – und den passenden Sound, «wie das Cocktailschirmchen auf dem Spassgetränk».

Die Zucchini Sistaz sind auf der grünen Seite des Lebens und das leben sie auch neben der Bühne. In grün-bunter Retrokleidung verkauften und signierten sie ihre durchgestylten Tonträger und Kochlöffel. Das Publikum – das Haus war voll – stand Schlange. Das aparte Trio ist ein Gesamtkunstwerk, wie auch ihr schön gestaltetes Zucchini-Kochbuch. Es beinhaltet lauter Rezepte mit Zucchetti (wie die «Früchtchen» in der Schweiz heissen), die uns in manchen Sommern überfluten, so dass wir sie in Kuchen raffeln oder heimlich nachts den Nachbarn vor die Tür legen. Das hat nun ein Ende:  Seit einer Woche betrachten wir das Gemüse mit andern Augen.

Text und Bilder: Monica Dörig