Auf dem Waldfriedhof geht die Post ab

Judith Bach, am 6. April 2024 in der Kunsthalle Appenzell

Judith Bach, am 6. April 2024 in der Kunsthalle Appenzell

Judith Bach, am 6. April 2024 in der Kunsthalle Appenzell

Judith Bach, am 6. April 2024 in der Kunsthalle Appenzell

Judith Bach spielte in Appenzell ihr zweites Musik-Theater-Kabarett-Solo-Programm

Judith Bach hat sich eine besondere Kulisse ausgesucht für ihr zweites Soloprogramm: den Waldfriedhof in Berlin. Hier ruht ihre geliebte Oma Fritz, von der sie Lebensweisheiten und Geschichten geschenkt bekommen hat. Diese sind der berühmte rote Faden im herzerfrischenden Ein-Frau-Kabarett mit Musik und «Schmackes».

Oma Fritz hat – irgendwann nach Kriegsende – auf der Strasse Kartoffeln fallen lassen. Ein Mann hob sie auf und begleitete sie nach Hause. Er wurde Klärchens Opa. Erst später erfährt das Publikum, dass es zuvor schon eine grosse Liebe gegeben hat: Ein junger Mann, der in den Krieg eingezogen wurde und nicht mehr zurückgekehrt ist. Doch davon später. Zunächst erzählt Claire (berlinerisch: Klääre), dass es an ihrer Hochzeit wegen Oma Fritz Kartoffelauflauf geben muss und dass sie beabsichtigt, den Motorradschrauber Harry zu heiraten. Aber der weiss noch «nüscht» davon.

Kabarett an besonderem Schauplatz
Judith Bach ist als Claire aus Berlin seit 18 Jahren die eine Hälfte des Duos Lunatic. Zum zweiten Mal steht sie «alleene» auf den Kleinkunstbühnen. Sie ist dort mit ihrer charmanten Berliner Schnauze, mädchenhaft und ein bisschen frech, mit lebensklugen Gedanken und mit ihrem musikalischen und clownesken Talent ein gern gesehener Gast. In Appenzell trat sie zum vierten Mal auf, am Samstagabend in der Kunsthalle zum ersten Mal ganz «alleene». Das Publikum amüsierte sich köstlich mit ihr und klatschte nach dem herzerfrischenden Abend hell begeistert. «Dufte, dass Ihr da seid – im berühmtesten Theater von Appenzell» begrüsste die kleine Person mit der hinreissenden Mimik und der windzerzausten Frisur das grosse Publikum (sie liebt es, schnell unterwegs zu sein – mit Opas Motorrad). Es war sehr zahlreich der Einladung der Kulturgruppe Appenzell gefolgt war, um das Musik-Theater-Kabarett «Endlich –
ein Stück für immer» zu sehen.

Judith Bach hat schon seit sie als Kind im Krippenspiel ein geschorenes Schaf mimte, gewusst, dass sie Schauspielerin werden will und hat sich diesen Traum in der Scuola Dimitri erfüllt. Für ihr zweites Soloprogramm mit der Bühnenfigur Claire (die mit der realen Person erstaunlich viel gemeinsam hat) wählte sie ein raffiniertes «Setting»: den Waldfriedhof. Hier spricht sie nicht nur mit ihrer geliebten Oma Fritz, «die in Frieden ruht» und von der sie viel fürs Leben gelernt hat, sondern lässt Grab-Nachbarinnen tuscheln und eine Witwe zwischen den Grabreihen schlurfen und mit ihrem Verblichenen plaudern. Nur der Ludwig auf der Friedhofsbank sagt einfach «nüscht». «Es ist zum Mäusemelken», hadert die sehr kommunikative Claire und steht zwischendurch mal Kopf.

Pendlerin zwischen Kulturen
Claire, die zwischen Berlin und der Schweiz pendelt und Currywurst ebenso liebt wie Chäs-Chüechli, hat ihrer Oma früher aus all den Städten, in denen sie auftrat, Postkarten geschrieben. Weil sie das vermisste, richtete sie einen Friedhofbriefkasten ein. Den nutzten auch andere Besucherinnen, um ihren Toten zu schreiben. Aus diesem dramaturgischen Kniff ergaben sich heitere Einsprengsel und eine geschickte Klammer. Damit geht auf dem Waldfriedhof buchstäblich die Post ab.

Damit das Leben schmeckt
Oma Fritz hat das Klärchen zu Fantasiereisen auf Opas verstaubtem Motorrad mitgenommen. Die Liedzeilen dazu reimen sich alle auf «frei». Judith Bach spielt auf der Klaviatur des Pianos und der Fantasie gekonnt muntere Stücke mit Substanz. Sie nimmt das Publikum mit nach Berlin und in Lebensgeschichten skurriler Figuren und schreibt und singt lustige Lieder dazu. Sie spielt Clementi in rasendem Tempo, und Judith Bach liebt und kann auch ihren Namensvetter. Weil der taube Beethoven sich deswegen nicht im Grab umdrehen wird, klimperte sie mit herzigen Kulleraugen und dem ansteckenden Grinsen im Gesicht «Für Elise» mit schrägen Tönen. Das gefiel dem Publikum ungemein.

Am Ende vom «Stück für immer» spürte man die leise Botschaft von Oma Fritz: Man kann sich das Leben so backen, dass es schmeckt. Für Claire schloss sich ein Kreis, als sie in einer Schachtel einen Brief von Oma Fritz an ihre erste Liebe fand: Ludwig. Und eine verstörend neue Situation tut sich für Claire auf (die gern selbst sagt wo’s lang geht), wie sie den postalischen Heiratsantrag von Harry – der mit der schönsten und am schönsten besungenen Zahnlücke – in der Hand hält. «Meene Fresse!» Das Publikum war ihr bei der Entscheidung keine Hilfe, aber es war hell begeistert vom Abend mit Claire «alleene»

Text und Bilder: Monica Dörig